Wahlen sind Betrug

Ein durch Zensur verhindertes Posterprojekt von Oliver Ressler

2011

Am 21.11.2011 erhielt ich von TKI – Tiroler Kulturinitiativen / IG Kultur Tirol eine Förderzusage, die das Resultat einer vorbildlich transparenten Jurysitzung war. Plakate mit dem prägnanten Slogan „Wahlen sind Betrug“ sollten als Serie von Citylights über den Zeitraum von zwei Wochen in Innsbruck affichiert werden.

Der Slogan „Wahlen sind Betrug“ („Elections piège à cons”) wurde im Mai 1968 in Paris geprägt. Die deutsche Fassung dieses Slogans, der in einer spezifischen historischen Konstellation geprägt wurde, wird nun über eine Fotografie gesetzt, die Tiroler Alpen zeigt. Vergleichbare Bilder tauchen immer wieder im Hintergrund von Plakaten wahlwerbender Parteien in Österreich auf. In der Plakatserie „Wahlen sind Betrug“ fehlen allerdings die üblichen Politiker_innenporträts und bilden eine Leerstelle. Anstelle sinnentleerter Wahlwerbung ist die nüchterne Aussage „Wahlen sind Betrug“ zu lesen.

“Wahlen sind Betrug” (Elections are a con), poster censored by the provincial government in Tyrol, Austria, 2011

Überraschenderweise wurde mir am 21.12.2011 von der Kulturabteilung der Tiroler Landesregierung per E-Mail mitgeteilt, dass mein Projekt „nach nochmaliger eingehender Prüfung der eingereichten Unterlagen sowie nach Rücksprache mit Frau Landesrätin Dr. Palfrader seitens des Landes Tirol nicht gefördert wird.“

Meiner Bitte nach einer Begründung dieser ungewöhnlichen Entscheidung, eine von einer Fachjury in einem mehrstündigen Prozess ausgewählte Arbeit nicht zu fördern, wurde trotz mehrmaligen Nachfragens nicht entsprochen. Die einzige „Antwort“ war eine kurze E-Mail am 23.12.2011 von Frau Mag. Nagiller-Wöll von der Kulturabteilung der Tiroler Landesregierung, in der sie darauf verwies, dass sie die Gründe für die Ablehnung in einem Gespräch mit einer Vertreterin von TKI erläutert habe.

In diesem Gespräch erklärte Mag. Nagiller-Wöll, die Tiroler Landesregierung könne meine Arbeit nicht fördern, da der Text auf dem Plakat falsch wäre. Nicht Wahlen wären Betrug, sondern Wahlwerbung (!).

Die Tiroler Landesregierung maßt sich also an, eine von einer Fachjury in einer öffentlich vor Publikum abgehaltenen Sitzung als förderungswürdig befundene künstlerische Arbeit selber zu beurteilen, ohne scheinbar in der Lage zu sein, einer klar formulierten Projektbeschreibung inhaltlich folgen zu können.

In der Projektbeschreibung wurde folgendermaßen argumentiert:

„Walden Bello behauptet, die westliche Demokratie sei eine Idealsituation zur Sicherung der Fortdauer der Macht der Eliten; weil sie den Eliten erlaubt, ihre Dispute untereinander auszutragen, während sie gleichzeitig die Enteigneten, die Armen und die Arbeiterklasse aussperrt, obwohl sie ihnen seltsamerweise die Illusion vorgaukelt, sie hätten Anteil am Aufbau ihrer eigenen Zukunft und könnten am politischen Prozess mitwirken.(1) Wahlen mutieren im heute praktizierten System der repräsentativen Demokratie immer mehr zu sinnentleerten Ritualen, während die wirklichen Entscheidungen abseits öffentlicher Debatten von selbsternannten Politik- und Wirtschaftseliten, zunehmend im Rahmen internationaler Handelsorganisationen, der Weltbank oder transnationalen Staatenzusammenschlüssen wie der EU, gefällt werden.“

Die Tiroler Landesregierung stellt sich gegen die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Kunst und versucht zu bestimmen, was Künstler_innen öffentlich zu sagen haben und was nicht. Für die Verhinderung politisch unliebsamer Arbeiten gibt es eine Bezeichnung: Zensur

Erstmals in der 10-jährigen Geschichte des TKI open wurde einer von einer Fachjury ausgewählten künstlerischen Arbeit die Förderung aus den Mitteln des Landes Tirol verwehrt. In der darauf folgenden medialen Diskussion versuchte die Tiroler Landesregierung erfolglos, ihre in die Nähe von Zensur geratene Entscheidung zu rechtfertigen. Für die ÖVP-Kulturlandesrätin Dr. Palfrader ist die Arbeit „Wahlen sind Betrug“ „inhaltlich falsch“ (Tiroler Tageszeitung, 18.01.2012) und „nicht experimentell“ genug (Radio Freirad, 01.02.2012). Auf Anfrage des Nachrichtenmagazin Profils erklärt Palfrader, dass nicht alles, „was Kunst zu sein beansprucht, auch gefördert werden kann“ (Profil, 23.01.2012).

Nachdem die Argumente der Kulturlandesrätin in den Medien auf wenig Gegenliebe stießen, holte die ÖVP Tirol im Innsbrucker Gemeinderatswahlkampf in ihrer Parteizeitung „Tiroler Weg“ im März 2012 zum Gegenschlag aus: „Kultur ist kein Selbstbedienungsladen“, wurde in großen Lettern über eine nicht autorisierte Reproduktion meines Plakatentwurfs gesetzt. Zumindest implizit wurde mir vorgeworfen, mich öffentlicher Fördermittel zu „bedienen“, mir also einen Vorteil durch das ungerechtfertigte Erlangen von Fördermitteln verschafft zu haben. Die im Kleingedruckten neben meiner Arbeit abgedruckten Erläuterungen stehen mit der Überschrift nicht direkt in einem für die Leser_innen klar verständlichen Zusammenhang und beschreiben „‚fadenscheinige‘ Gründe für die Aberkennung der bereits von der Jury zugestandenen Förderungsleistung“ (2).

Die die Tiroler Landesregierung stellende ÖVP ignoriert also nicht nur aus politischen Gründen einen Juryentscheid, sondern missbraucht meine künstlerische Arbeit auch noch im Innsbrucker Gemeinderatswahlkampf. Damit war das Fass voll und eine Klage gegen die Tiroler Landespartei wurde eingebracht.

Am 16.07.2012 fand eine Verhandlung im Landesgericht Innsbruck statt, in der sich die Tiroler Volkspartei in einem gerichtlichen Vergleich verpflichtete, es zu unterlassen, das Plakat „Wahlen sind Betrug“ zu vervielfältigen oder zu bearbeiten, und alle in ihrer Verfügungsmacht stehenden bearbeiteten Versionen des Werks „Wahlen sind Betrug“ zu beseitigen. Die beklagte Partei (ÖVP) verpflichtet sich weiters, kreditschädigende Behauptungen, die sinngemäß den Vorwurf beinhalten, dass ich mich an Kultursubventionen „bedient“ habe oder dies versucht habe, zu unterlassen. Weiters erklärt die beklagte Partei ausdrücklich, dass sie dem Kläger mit dem im „Tiroler Weg 1.12“ veröffentlichten Bericht im Zusammenhang mit dem vom Kläger angefertigten Plakat „Wahlen sind Betrug“ kein unehrenhaftes oder rechtswidriges Verhalten unterstellen wollte.

Eine Veröffentlichung dieser Verpflichtungen im Tiroler Weg ist daran gescheitert, dass dieser eingestellt wurde.

Nachsatz: Scheint es im heiligen Land Tirol unmöglich zu sein, künstlerische Plakate mit dem Text „Wahlen sind Betrug“ zu plakatieren, schien dieser Text bei einer Projektfassung für die georgische Hauptstadt Tiflis im selben Jahr kein Problem zu sein.

“Elections are a Con” (Georgian version), poster, 59,4 x 42 cm, 2012
“Elections are a Con” (Georgian version), poster, 59,4 x 42 cm, 2012. Installation view: “Undergo. The Parallels”, GeoAIR, Tbilisi, 2012 (photo: Nini Palavandishvili)
“Elections are a Con”, wall text, 2011. Installation view: “Art in the Name of…”, Galerija PM, Zagreb, 2011 (photo: Elvis Krstulović)

(1) David McNeill in der 8-Kanal Videoinstallation „What Is Democracy?“ von Oliver Ressler, 2009
(2) Klageschrift meiner Anwälte Ploil | Krepp | Boesch, 09.05.2012