Ein Film von Oliver Ressler
30 min., 4K, AT/TR 2016
Flüchtlinge, die versuchen in die EU zu gelangen, spielen in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei eine besondere Rolle. Dieselben europäischen Mächte, die regelmäßig die „Menschenrechte“ zur Legitimierung von Militäreinsätzen in Afrika und Asien (inklusive dem „Nahen Osten“) anführen, verweigern gleichzeitig den Überlebenden, die den von ihnen angeordneten Massakern entfliehen, jeglichen Schutz. Das EU-Grenzregime ist für zehntausende im Mittelmeer Ertrunkene verantwortlich, während die Türkei fast drei Millionen Flüchtlingen die Grenzen geöffnet hat, mehr als alle EU Staaten zusammengenommen.
Der Film „There are no Syrian refugees in Turkey” (In der Türkei gibt es keine syrischen Flüchtlinge) basiert auf Stimmen, die in der westlichen „Flüchtlingsdebatte“ nicht nur ungehört sondern auch unerhört sind – wenn nämlich Europa das Zentrum der Welt ist, dann dürften diese Sprecher_innen gar nicht existieren. Es sind syrische Flüchtlinge, die lieber nicht versuchen wollten, in die EU zu gelangen, und sich stattdessen dazu entschlossen haben, ihr Leben in Istanbul weiterzuführen.
Die Syrer_innen beschreiben ihr Leben als „Gäste“ in der größten Stadt des Kontinents, wo Überlebende von Progromen und Kriegen, begonnen von Mächten im Norden und Westen, seit mehr als 500 Jahren Zuflucht finden. Sie sprechen ausführlich über die Schwierigkeit, sich in Istanbul einen Lebensunterhalt zu verdienen. Sie sprechen auch über den Unwillen der EU, mehr als eine erbärmliche Anzahl Flüchtlinge aufzunehmen, um sie dann gesammelt als einen sozialen Krankheitserreger, als eine bewegliche Gefahr zu behandeln, die isoliert und „gesichert“ werden muss. Alle Gespräche wurden auf arabisch geführt und in den Tagen nach dem Putschversuch in der Türkei vom 15.7.2016 aufgenommen; dieser wird daher ebenfalls im Film thematisiert. In einer stillen Umkehrung der gesamten Perspektive der „Flüchtlingsdebatte“ entwickelt der Film eine politische Analyse türkischer und europäischer Politik aus der Sicht syrischer Flüchtlinge.
Die Sprecher_innen sind im Film nicht zu sehen. Ihre Anonymität bleibt gewahrt, um Unterdrückung und anderen ungewollten Konsequenzen vorzubeugen. Zu den Gesprächen sind Bilder aus langen Einzeleinstellungen zu sehen, die in Istanbul gefilmt wurden.
Die Worte und Bilder werden von einer speziell für den Film produzierten experimentellen Audiokomposition begleitet. Auch sie zeugt von den Bedingungen unter Krieg und Terror und von all dem, was unausgesprochen bleibt.
Regie und Produktion: Oliver Ressler
Kamera, Ton und Schnitt: Oliver Ressler
Übersetzung und Organisation: Zuhour Mahmoud
Produktionsassistenz: Kerem Renda
Farbkorrektur und Bearbeitung: Rudolf Gottsberger
Sounddesign und Musik: Vinzenz Schwab
Übersetzung für deutsche Untertitel: Anja Büchele
Der Film wurde anlässlich Oliver Resslers Einzelausstellung “Who Throws Whom Overboard?” im SALT Galata mit Unterstützung des BKA und des Österreichischen Kulturforums in Istanbul realisiert.
Mit besonderem Dank an Vasif Kortun und November Paynter für ihre Unterstützung des Projekts in allen Phasen und für ihre Hilfe mit dem Kontext und den Kontakten vor Ort.
Mit Dank an Matthew Hyland, Zuhour Mahmoud, Shereen Mansour, Şenay Ozden und Pinar Öğrenci.