Eine City-Light-Serie von Oliver Ressler in München
im Rahmen der Ausstellung „Exchange & Transform“ des Kunstverein München
2002
Von 14.5 bis 10.6.2002 wurden in der Innenstadt Münchens an stark frequentierten Plätzen Plakate der Größe 175 x 119 cm als City-Lights präsentiert. Ausgangspunkt der Plakatserie ist das repressive Vorgehen von Politik und Polizei gegen die Demonstrationen anlässlich der 38. NATO-Sicherheitskonferenz, die vom 1.2 bis 3.2.2002 in München stattfand.
Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) nahm eine unbelegte Behauptung des deutschen Verfassungsschutzes, dass 3.000 „gewaltbereite Demonstranten“ schwere Ausschreitungen und eine „Entglasung“ der Innenstadt Münchens planen würden, zum Anlass, für ganz München ein dreitägiges Demonstrationsverbot zu verhängen. Diese Maßnahme wurde von der Aufhebung des Schengener Abkommens und einem Einreiseverbot für Demoteilnehmer_innen aus den Nachbarländern begleitet, um einen laut Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) „linksextremistischen grenzüberschreitenden Gewalttourismus“ zu verhindern.
Über 3.500 Polizeibeamt_innen, Spezialfahrzeuge und Barrikaden wurden aufgeboten, um die behördlich verordnete Verletzung des Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit während der NATO-Sicherheitskonferenz zu exekutieren.
7000 Kriegsgegner_innen und Kritiker_innen der ökonomischen Globalisierung versuchten, trotz Platzverboten, Absperrungen und Polizeikessel in der Münchner Innenstadt ihr Demonstrationsrecht durchzusetzen. 792 Personen wurden festgenommen, obwohl die Teilnahme an einer verbotenen Demonstration eigentlich nur eine (etwa mit einem Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung vergleichbare) Ordnungswidrigkeit darstellt.
Durch die Konstruktion fiktiver Bedrohungsszenarien wurden Menschen an der Ausübung ihrer demokratischen Rechte gehindert und die gerne behauptete „Liberalitas Bavariae“ (die bayrische Liberalität) von Politik, Polizei, Verfassungsschutz und Medien mit Füßen getreten.
Die drei Plakatsujets der City-Light-Serie verbinden das vor Ort vorhandene Wissen um die Geschehnisse rund um die NATO-Sicherheitstagung mit der Tatsache, dass ein Monat nach dem vom SPD-Oberbürgermeister verhängten totalen Demonstrationsverbot dessen Politik – und damit auch die Einschränkung demokratischer Rechte – bei den Stadtratswahlen durch einen fulminanten Wahlsieg bestätigt wurde. In der Arbeit „This is what democracy looks like (Liberalitas Bavariae)“ werden daher in den City-Light-Plakaten die SPD-Wahlkampfslogans „München braucht mehr Rot!“ und „Es geht um München“ mit den Ereignissen rund um die Demonstrationsverbote kombiniert. Die an unterschiedlichen Orten in der Innenstadt präsentierten Plakatsujets bilden eine offene Struktur und erlauben keine eindeutige Zuordnung, wer hinter den Plakaten steht. Bei zwei der Plakate wäre es sogar möglich, dass Passant_innen eine auf die Außerkraftsetzung der Grundrechte stolze Münchner SPD für die Urheber hielten. In diesen Fall würde dieser Eingriff in die „Ordnung des Diskurses“, wie Foucault jenes wesentliche Element der Machtausübung bezeichnet, die Schwächung der Position des vermeintlichen Autors SPD auf der symbol-politischen Ebene bedeuten. Das dritte Plakat ist in seiner Aussage eindeutig: „Die Einschränkung demokratischer Rechte hat viele Abkürzungen“ ist neben den Kürzeln CSU, SPD, KVR, VGH und UDE zu lesen.
Diese Intervention im Stadtraum steht in einer inhaltlichen Verbindung zum Video „This is what democracy looks like!“ (SD, 38 Min., 2002) über einen Polizeikessel anlässlich der ersten so genannten Anti-Globalisierungsdemonstration in Österreich. Das Video war ebenfalls im Rahmen des Ausstellungsprojekts „Exchange & Transform“ im Kunstverein München von 26.04. bis 01.09.02 zu sehen.