Eine themenspezifische permanente Installation von Oliver Ressler
2002
Nach einem geladenen Wettbewerb wurden Oliver Ressler und Martin Schmidl von der Stadt Kapfenberg (AT) mit der Realisierung von zwei Installationen beauftragt, die dem Autor Erich Fried gewidmet sind. Seine politischen Gedichte und seine Liebeslyrik machten Erich Fried (1921–1988) zu einem der bedeutendsten und engagiertesten deutschsprachigen Autoren seiner Zeit.
Die Installation Oliver Resslers besteht aus zwei 1,5 x 1,5 m großen Leuchtkästen und einer 46 m langen Bodenbeschriftung im Zentrum Kapfenbergs. Die Text/Bildmontagen der beiden Leuchtkästen kombinieren thematisch und assoziativ Textausschnitte aus Erich Frieds literarischem Werk mit Fotografien und einer Zeichnung aus dem Nachlass. Die ausgewählten Texte setzen sich mit dem kapitalistischen Gesellschaftssystem, möglichen Alternativen dazu, mit Sozialismus und Fragen der Demokratie auseinander. Diese inhaltliche Schwerpunktsetzung bildet das Verbindungsglied zwischen der politischen Haltung und Literatur Frieds und der Geschichte und Gegenwart der obersteirischen Industriestadt Kapfenberg. Der in der Altstadtpassage in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem nach dem Widerstandskämpfer Koloman Wallisch benannten Hauptplatz installierte Leuchtkasten fokussiert anhand von Ausschnitten aus dem Text “Die Arbeiterbewegung als kulturelle Kraft” (1987) Frieds Ansichten über Sozialismus und Arbeiterkampf. Der Text lautet:
“Man kann sich z. B. in einer Zeit ständig wachsender kapitalistischer multinationaler Verschränkung einen neuen Sozialismusbegriff ausdenken, der den Kapitalismus nicht ausschaltet und Klassenkampf durch Sozialpartnerschaft ersetzt. Aber was man nicht kann, ist: Ein solches Manöver im Innersten selbst glauben.”
Das Werbemedium Leuchtkasten verweist auf die andauernde Aktualität dieser Einschätzung Frieds. Von diesem Leuchtkasten weg ist in der Passage, in der die Zugänge zu den Büros des Stadtgemeindeamts Kapfenberg liegen, folgender Text Erich Frieds als 46 m lange und 17 cm breite Bodenbeschriftung in weißer und schwarzer Farbe angebracht:
Ein Land in dem / behördliche Sprecher erklären: / “Unsere Richter / sprechen manchmal auch Unrecht / und unsere Polizei ist oft brutal / und gleiches Recht für alle ist selten / und außerdem gibt es / politische Prozesse / und auch sonst noch einiges / was nicht leicht zu rechtfertigen ist / Und manche Gefängnisse / und Heil- und Pflegeanstalten / und Kranken- und Waisenhäuser / und Jugend- und Altersheime / sind nicht so wie sie sein sollten – / und Arbeiter werden / immer noch ausgebeutet / Und ob wir uns immer / nach dem Willen des Volkes richten / und ob das Volk / gut genug informiert wird / und wie weit man wirklich / sagen kann ‚hier herrscht Freiheit‘ ist zweifelhaft” // Ein Land / in dem behördliche Sprecher / so etwas sagen / und zum Zweifel auffordern / wäre ganz ohne Zweifel / das Land meiner Träume / das ich liebe / und in dem ich wohnen will
Folgt man beim Lesen der Bodenbeschriftung, wird im neueren Teil der Passage der zweite Leuchtkasten sichtbar. Über einem Foto, das mehrere behelmte Polizisten zeigt, die offensichtlich einen Demonstranten zu Boden gestoßen haben, wurde ein Ausschnitt aus Frieds Gedicht “Zur Kenntlichkeit” (1975–1977) gesetzt:
Ist eine Demokratie / in der man nicht sagen darf / daß sie keine / wirkliche Demokratie ist / wirklich eine / wirkliche Demokratie?
Die Erich Fried Passage beim Koloman-Wallisch-Platz in Kapfenberg ist seit 20.11.2002 permanent öffentlich zugänglich.