Ein Film von Oliver Ressler
4K, 28 Min, AT/CH/MA 2022
Der Film konzentriert sich auf zwei Gegenden in Casablanca, wo große Infrastrukturprojekte zu massiven sozialen Umwälzungen geführt haben.
Das erste Projekt ist fast abgeschlossen: direkt vor der Medina – die Altstadt mit ihren schmalen Gassen und kleinen Läden – wurde ein Damm gebaut, der die Einwohner*innen vom Meer trennt. Auf dem Damm wurde ein neues Stadtpanorama aus Beton und Glas errichtet, das vom Einkaufszentrum Casablanca Marina dominiert wird.
Der Strand, wo Anwohner*innen früher gefischt haben, ist ganz verschwunden; er wurde durch eine Betonmauer ersetzt. Die Einschließung des Meeresufers bedeutet, dass sogar der Blick aufs Meer mittlerweile durch privates Kapital gelenkt und beschränkt wird.
Die zweite städtebauliche Maßnahme ist in Sichtweite der Hassan 2 Mosque – Afrikas größter aktiver Moschee seit ihrer Fertigstellung 1993. Das für das Projet de D’Avenue Royale auserkorene Viertel besteht aus Häusern, die in der Mehrheit eingestürzt oder in schlechtem baulichem Zustand sind; einige werden derzeit abgerissen. Mitten im Bauschutt leben aus ihren Häusern vertriebene Anwohner*innen in Zelten und selbstgezimmerten Baracken ohne fließendes Wasser oder Elektrizität. Viele von ihnen können sich einen Umzug in die Vororte dieser 4-Millionen-Stadt nicht leisten; zu weit entfernt wären sie dort von ihren informellen Jobs und ihren lebensnotwendigen Netzwerken. Am Ergebnis ihres ständigen Kampfes wird sich ablesen lassen, ob die Regierung ein weiteres kapitalfreundliches, internationales Vorzeigeprojekt durchsetzen wird und so die Geografie der Ungleichheit ausweitet.
Beide Großprojekte sind Ausdruck der gleichen Logik: städtischer Raum wird entlang der Logik des Marktes, nicht der Bedürfnisse der Bewohner*innen gestaltet. Da Marokko nicht auf reichliche Bodenschätze zurückgreifen kann, werden Großstädte zu Wachstumsmotoren für die nationale Ökonomie hochfrisiert. Die Stadt selbst wird zur Abbaustätte und Ertragsbringerin.
Statt als spektakuläre Vorzeigeobjekte für ein offenes, globalisiertes und marktfreundliches Marokko sollten die Großprojekte als das gesehen werden, was sie wirklich sind: Beispiele einer autoritären Umgestaltung, bei der staatliche Macht sich neu institutionalisiert, zusammensetzt und restrukturiert.
Der Titel „After the Barrage, the Deluge“ (Après le barrage, le deluge | Nach dem Damm, die Sintflut) insistiert auf diese Möglichkeit auf Opposition und nimmt den Abbruchs-König Louis XV beim Wort („Après moi, le deluge“). Ein Damm, der gebaut wurde, um das Meer zurückzudrängen und die Armen auszuschließen – eine Wehr im doppelten Sinne von Angriff und Barrikade – kann immer von den Fluten sozialer Kämpfe zum Einsturz gebracht werden.
Regie und Produktion: Oliver Ressler
Sprecher*innen (in der Reihenfolge des Erscheinens): Bewohner Avenue Royale 1, Samba Soumbounou, Omar Radi, Rita Quassar, Ghassan Wail, Fatim Zahra Benhamza, Bewohner Avenue Royale 2, Bewohner Avenue Royale 3, Hicham Houdaïfa, Omar Radi
Kamera, Tonaufnahmen: Oliver Ressler
Schnitt: Janina Herhoffer, Oliver Ressler
Farbkorrektur: Rudolf Gottsberger
Sound und Sound Design: Vinzenz Schwab
Titel: Nils Olger
Übersetzungen: Imad Dahmani, Sabrina Kamili, Selma Naguib, Abdeslam Ziou Ziou
Der Film wurde anlässlich der von Christine Eyene kuratierten 5th Biennale Internationale de Casablanca mit Unterstützung von Phileas: The Austrian Office for Contemporary Art; BMKOES: Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport; und Gwärtler Stiftung realisiert.
Mit besonderem Dank an Christine Eyene für die Unterstützung des Projekts in allen Phasen.
Weiterer Dank an Soukaina Aboulaoula, Yto Barrada, Fatim Zahra Benhamza, Koenraad Bogaert, Christine Eyene, Matthew Hyland, Hasna Jabir, Sabrina Kamili, Lisbeth Kovačič, Aline Lenzhofer, Selma Naguib, Abdeslam Ziou Ziou.